Kaum eine Zeit des Jahres eignet sich besser, in eine romantische und teils auch verklärende Gefühlslage zu versinken, als die Advents- und Weihnachtszeit. Als ich gebeten wurde, meine weihnachtlichen Gefühle aus der Kindheit für diesen Beitrag zu Papier zu bringen, habe ich mich bemüht, so realistisch wie möglich zurückzublicken.
Wie also war sie, die Weihnachtszeit meiner Kindheit, die nun schon um die sechzig Jahre zurückliegt? Sie war schön. Und sie war in jedem Jahr schön. Ein ganz besonderer Tag war der Heiligabend. Ganz früh am Tag schon standen wir auf. Wir Kinder spürten, dass die Erwachsenen noch viel zu erledigen hatten; Besorgungen, Geschenke verpacken, Klappern von Töpfen und Pfannen aus der Küche … Sicher verging für sie der Tag viel zu schnell; für uns fühlte er sich an, als wenn die Zeiger der großen Standuhr mühsamer als sonst vorankommen würden. Dann, endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, wurden wir zum Mittagessen gerufen.
Aber Mittag war vorbei, es war so gegen halb eins und der Nachmittag, der vor uns lag, schien noch einmal Ewigkeiten länger zu sein, als der Vormittag, den wir gerade so rumgebracht hatten. Irgendwann gegen zwei holte mein Vater eine große Schüssel unterschiedlicher Nüsse, breitete eine Zeitung auf dem Tisch aus und begann, Nüsse zu knacken. Bis er eine ganze Schüssel voll hatte. Natürlich fiel immer mal auch für uns eine Wal- oder eine Haselnuss ab, die eine willkommene kulinarische Abwechslung zum ansonsten kaum vorankommenden Ticken der Uhr darstellte. Natürlich spürten die Eltern und Großeltern, dass wir es kaum noch aushalten konnten, bis es endlich an die Bescherung gehen würde. Also taten sie das, was ganz offensichtlich auch heute noch Eltern in ihrer Not tun: wir wurden vor den Fernseher gesetzt. Ganz sicher kam am Nachmittag mindestens eins der wunderschönen DEFA-Märchen wie „Frau Holle“ oder „König Drosselbart“ oder „Die goldene Gans“.
Uff, wieder eine anderthalb Stunde geschafft. Inzwischen war es längst dunkel geworden, der Kachelofen war inzwischen angeheizt, Geruch von Räucherkerzen waberte durch den Raum, Kerzen leuchteten von den Kerzenständern und auch vom Weihnachtsbaum, wir hatten noch ein Stückchen Stollen – mehr aus Höflichkeit – verdrückt und das Abendessen stand an. Als auch dieses Ritual endlich absolviert war, kam der alles erlösende Satz von meinem Vater: „Na, da wollen wir doch mal sehen, ob der Weihnachtsmann auch in diesem Jahr für diejenigen, die folgsam waren, ein paar Geschenke mitgebracht hat.“ Er hatte. Denn wir waren, so ich es heute überblicke, alle mehr als folgsam gewesen. Dann folgte das, worauf wir so sehnsüchtig gewartet hatten. Wir wickelten die Geschenke aus und ich weiß noch heute, dass das kleine Wohnzimmer, in dem wir uns versammelt hatten, hell erstrahlte; nicht so sehr vom Schein der Kerzen, sondern mehr von den strahlenden Augen der Kinder und der Erwachsenen.
Ja, so war das damals … Einiges hat sich geändert, aber nicht alles, stimmt`s?
Über den Autor
Stefan Tschök hat in diesem Jahr in unserem Verlag den autofiktionalen Roman „Uferlinien – Eine Kindheit zwischen Flöha und Zschopau“ veröffentlicht.